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„Quartett“

PRODUKTION Quartettvon Heiner Müllernach  Gefährliche Liebschaften  von Laclosneue italienische Fassung  Agnese Grieco und Valter Malostimit Laura Marinoni (Merteuil)Valter Malosti (Valmont)Regie Valter MalostiDramaturg Agnese GriecoInszenierung Nicolas BoveyTon und Live-Electronics G.u.p. AlcaroLichtdesign Francesco Dell’ElbaKostüme Gianluca FalaschiRegieassistenz Elena SerraSzenenfotos  Fabio LovinoTon und Stimmen  G.u.p. Alcaro, Bruno Balz, Ludwig van Beethoven, Gavin Bryars / Georg Friedrich Händel, Lothar Brühne, Wendy Carlos, Franz Joseph String Quartet, Valentina Lisitsa, Herbert von Karajan, Jonas Kaufmann, Wolfgang Amadeus Mozart, Heidi Person, Maurizio Pollini, Quartetto d’Archi di Torino, Heinz Rühmann, Friedrich Schiller, Arnold Schöenberg, Franz Schubert, Giuseppe Verdi, Richard WagnerDank an De Sono Associazione für die Zusammenarbeit bei der MusikDie Werke der CD Quartetto per Verdi  wurden vom  Quartetto d’Archi di Torino gespielt, Giacomo Agazzini (Violine), Umberto Fantini (Violine), Andrea Repetto (Viola) e Manuel Zigante (Violoncello)Fondazione del Teatro Stabile di TorinoAUFFÜHRUNG  AUS DER VERANSTALTUNGSREIHE  „THEATER  JEDER  LEIDENSCCHAFT“ – INTERNATIONALES  PROJEKT Quartett  von Heiner Müller ist ein Prosatext, der einem Gedicht nahekommt, ein Pas de deux,  in dem Sex, Identität und Fiktion in postmoderner  Hinsicht, jedoch ausgehend von einem dramatischen Existenzdrang dargestellt werden.  Ein “Salon vor der französischen Revolution” und ein “Bunker nach dem dritten Weltkrieg”: So lauten  die Vorgaben des Autors für die Inszenierung seines Dramas. Die von Müller beabsichtigte dramaturgische Dimension bewegt sich zwischen Vergangenheit und Gegenwart, reicht aber auch in die Zukunft.  In einer phantastischen Umgebung des Theaters des Verstands handeln eine Frau und ein Mann: Merteuil und Valmont. Zwei Freidenker aus dem 18. Jahrhundert , die von  Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos in seinem berühmten und „verdammten“ Roman Die gefährlichen Liebschaften  ins Leben gerufen wurden. Eine Geschichte, die viele Lesergenerationen fasziniert, jedoch nicht unbedingt  moralisch erbaut , und im Laufe der Zeit harte intellektuelle Querellen  ausgelöst hat. Heiner Müller führt sie an der Hand auf die Bühne. Ihr Dialog ist eindringlich, es kommt zu einer letzten Auseinandersetzung, die sie dazu zwingt, sich ineinander zu spiegeln.  Merteuil und Valmont sind aber auch die beiden Darsteller eines Spiels, das aufgrund seiner allzu menschlichen  Grausamkeit gefährlich authentisch wirkt, das ausgehend von einer dramatischen Situation fast  in eine Komödie umschlägt  und in der Künstlichkeit der Aufführung den vollen Ernst der Worte hervorhebt.   Die beiden Schauspieler, unersättliche Allesfresser, wechseln ihre Rollen auf der Bühne und rutschen auch  – zu ihrer und unserer Genugtuung – in die ihrer Opfer: die keusche und tugendhafte Madame de Tourvel, die unschuldige Jungfrau Volanges. Der Verführungsmechanismus ruft Erinnerungen an Pasolinis Theorem hervor. Ohne jegliche Mystik, ohne mögliche Verklärungen.Sinnlich und ironisch, existentiell und sehr theatralisch, philosophisch und  provokant. Quartett  ruft zum Kampf zwischen den Geschlechtern, diesmal nicht als ein psychologisches Bedürfnis, sondern eher als de Sade’sche Metapher der Macht, als Käfig, in dem die Rollen  wechseln können, auf. Wer ist Opfer, wer ist Täter, wer beherrscht,  wer unterliegt, wer ist am Ende der Mann, wer ist die Frau? Und was sind eigentlich „Männer“ und „Frauen“?  Sind sie lediglich Zitate ? Mit seiner theatralischen Radikalität und seinem theatralischen Ziel fordert der in Italien nicht sehr oft aufgeführte Text von Müller – der allerdings in Deutschland und Frankreich zur Glanznummer vieler Regisseure und Schauspieler geworden ist – auf , sich Fragen und ohne Zurückhaltung auf die Probe zu stellen. Wie kann man die gotteslästerliche und dennoch heilige Grausamkeit der Freidenker, die den Geist vom Fleisch trennen, in einer Welt ohne Jenseits ertragen?All dies führt auch zu der Frage, wie man gegen die Gewalt, die unser Leben, unsere Körper, unsere gemeinsamen Welten bewohnt, angehen kann.Im Geflecht des Textes erscheinen im Gegenlicht die Klassiker der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Endspiel  von Beckett, Die Zofen  von Genet, das Theater von Thomas Bernhard. Meines Erachtens besteht eine starke Analogie zwischen Quartett  und Orgie,  jedoch mit einem bedeutenden Unterschied: Die Figuren von Pasolini gehören zum Bürgertum, die Aristokraten von Müller hingegen,  haben sich über die Menschheit hinaus erhoben.Es mag sein, dass die Besonderheit der Müllerschen Sprache in dem liegt, was der Autor als seinen barbarischen und provokatorischen Charakter definiert. Sie verfolgt trotz allem die Absolutheit der deutschen Romantiker und wirkt gerade in der Poesie etwas zögernd.Valter MalostiQuartett, 1982 von Heiner Müller geschrieben, verdichtet und entflammt die Geschichte der Gefährlichen Liebschaften von Pierre Choderlos de Laclos, die  erfolgreich von  Milos Forman und Stephen Frears verfilmt wurde. «Der Roman – schreibt Valter Malosti – erzählt die Abenteuer zweier noblen und grausamen Freidenker, dem Vicomte Valmont und der Marquise de Merteuil und zählt zu den  Meisterwerken der französischen Literatur, obwohl Müller – wir wissen zwar nicht wie snobistisch er das meint –  betont, den Roman nie ganz durchgelesen zu haben. Seine Version ist sicher brutaler, schrecklich unverschämt und mit viel schwarzem Humor, zwar in Prosa geschrieben, aber mit einer Sprache, deren Tempo dichterisch und deren Körperlichkeit magmatisch ist.  Zu seinem Text erklärt  der Autor: “Kunst hat und braucht eine blutige Wurzel. Das Einverständnis mit dem Terror gehört zur Beschreibung des Horrors und des Terrors. So ist es auch in den Gefährlichen Liebschaften. Laclos hat sich immer als Moralist bezeichnet, der die Abgründe der Unsittlichkeit beschreibt, um die Menschheit davor zu warnen. Die moralistische Haltung ist eine Pose des stark an der Finsternis der Seele interessierten Autors. Ein wesentliches Problem bei der Anpassung von  Quartett  war die Frage, wie man eine Dramaturgie ausgehend von einem Briefroman entwickeln konnte. Die Lösung wurde durch die Aufführung gefunden: zwei Figuren spielen vier Rollen…”. Die beiden freidenkenden Unmenschen wechseln die Rollen und stellen abwechselnd ihre Opfer in einer räumlich-zeitlichen Dimension dar, die von einem Salon vor der französischen Revolution in einen Bunker nach dem dritten Weltkrieg übergeht. Die Geschichte ist draußen vor der Tür. Der Autor spiegelt sich in den beiden Figuren wider, spaltet sich und genießt die Theatralik der Rollenwechsel.  Das sadomasochistische Spiel des Paars öffnet weitaus schrecklichere und metaphysische Szenarien im Quartett. Mit einem spöttischen Lachen, das in der Leere der „Schauspielkunst der Bestien“ widerhallt, geht man dem Tod entgegen.